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Gendermedizin
04.03.2021

Gendermedizin - was ist das?

Frauen werden anders krank als Männer. Das mag wie eine Binsenweisheit klingen. Doch wissenschaftlich untersucht wird dieses Thema erst seit etwa den 1990er Jahren. Der Fachbegriff für diese Forschungen lautet Gendermedizin.

Dabei geht es darum, wie sich biologische und sozial erlernte Unterschiede zwischen den Geschlechtern im Detail auf die Entstehung, Diagnose, Therapie und auch die Erforschung und Prävention von Erkrankungen auswirken. 

Warum ist Gendermedizin wichtig?

Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern können erhebliche Auswirkungen auf die Anfälligkeit für Krankheiten, ihren Verlauf und auch auf die Wirksamkeit von Medikamenten haben. Ärztinnen und Ärzte, die das nicht bedenken, laufen Gefahr, Symptome falsch zu deuten und Therapien zu verschreiben, die schlecht vertragen werden.

Die Illusion von der „geschlechtsneutralen Behandlung“

Bis vor wenigen Jahren wurde in der Medizin häufig davon ausgegangen, man könne Patientinnen und Patienten – wenn man über körperliche und hormonelle Unterschiede hinwegsieht – geschlechtsneutral behandeln. Inzwischen setzt sich immer mehr die Ansicht durch, dass der „kleine Unterschied“ doch größer ist als lange Zeit angenommen.

Die Ursprünge der Gendermedizin

In der Öffentlichkeit ist das Thema erst seit wenigen Jahrzehnten angekommen. Die Gendermedizin hat ihre Wurzeln in der Frauenbewegung. Eine Pionierin auf diesem Gebiet war und ist die US-amerikanische Ärztin Dr. Marianne J. Legato.

Die New Yorkerin gründete wissenschaftliche Zeitschriften zum Thema Gendermedizin und eine Stiftung. Ihr Buch „Evas Rippe – Die Entdeckung der weiblichen Medizin“ von 2002 ist im gleichen Jahr auch in Deutschland erschienen. Dr. Legato kämpft auch dafür, dass Frauen vermehrt in klinischen Studien eingeschlossen werden.

Ein Ziel: Mehr Frauen in klinischen Studien

Das ist ein wichtiger Punkt, denn es war lange üblich, dass Medikamente vor der Zulassung vor allem an Männern getestet wurden. Sollte es einen Unterschied in der Wirkung oder den Nebenwirkungen bei Männern und Frauen geben, kann dieser ohne ausreichende Daten für beide Geschlechter übersehen werden. Die Folge kann sein, dass ein Geschlecht dann eine zu hohe oder zu niedrige Dosis erhält. Die Konzentration auf männliche Testobjekte in der medizinischen Forschung geht soweit, dass selbst bei Versuchen mit Mäusen häufig vor allem männliche Versuchstiere ausgewählt werden.

Herzerkrankungen: Es sterben mehr Frauen

Marianne J. Legato schrieb 1992 ihr erstes Buch zum Thema Gendermedizin über Herzerkrankungen, denn auf diesem Gebiet zeigen sich die Unterschiede zwischen Männern und Frauen besonders deutlich – und zwar international.

Beispiel Deutschland: Laut Herzbericht 2019 der Deutschen Herzstiftung kommen Herzkrankheiten (wie beispielsweise die Koronare Herzkrankheit, der Herzinfarkt oder die Herzinsuffizienz) bei Männern häufiger vor. Bei der Sterblichkeit ist allerdings der Anteil der Frauen höher.

Das Problem: Frauen zeigen häufig andere als die klassischen Symptome, die Männer meist beim Herzinfarkt haben. Leider haben Frauen dadurch bei Herzkrankheiten immer noch ein höheres Sterblichkeitsrisiko als Männer.

Mehr zu den Unterschieden zwischen Männern und Frauen bei Herzerkrankungen lesen Sie hier.

Frauen haben mehr Schlafstörungen

Ein anderes Beispiel ist das Thema Schlafstörungen. Auch hier gibt es geschlechtsbezogene Unterschiede. Nach den Erkenntnissen von Schlafforschern schlafen Frauen im Durchschnitt leichter und wachen zudem häufiger auf als Männer. Außerdem sind Frauen deutlich häufiger von Schlafstörungen betroffen

Grund seien unter anderem Stress und Hormone. Im Fokus der Forscher steht dabei unter anderem das Hormon Progesteron, das einen schlaffördernden Effekt hat. Seine Konzentration schwankt während des Zyklus. In den Wechseljahren wird immer weniger Progesteron gebildet, was sich auch auf die Schlafqualität von Frauen in der Menopause auswirken kann. 

Vorteile für alle Geschlechter

Wichtig ist es zu betonen, dass Gendermedizin keine reine „Frauenmedizin“ ist. Von den Untersuchungen der Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Geschlechter profitieren letztlich Männer ebenso wie Frauen. Beispielsweise kann die Gendermedizin dabei helfen, dass neue Therapien passgenauer für beide Geschlechter entwickelt werden.

Forschungsbedarf und weitere Fragen 

Gendermedizin ist in Deutschland weiter ein Nischenthema. Es gibt dazu lediglich ein Forschungsinstitut, das Institut für geschlechtsspezifische Forschung der Berliner Charité. Außerdem existiert eine Fachorganisation, die sich um Gendermedizin kümmert, die Deutsche Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin (DGesGM).

Wissenschaftler denken längst nicht mehr nur noch in den Kategorien biologisch männlich oder biologisch weiblich.

Eine spannende Frage der Gendermedizin ist beispielsweise die, wie sich soziokulturelle Faktoren bei beiden Geschlechtern auf Erkrankungen auswirken. Das heißt, was passiert, wenn Frauen früher als „typisch männlich“ geltende Gewohnheiten annehmen – und umgekehrt. Auf dem Feld der Gendermedizin gibt es also noch erheblichen Forschungsbedarf. 

Quellen:

https://link.springer.com/article/10.1007/s00103-014-2011-7

https://www.apotheken-umschau.de/weitere-themen/gendermedizin-anders-und-gleich-zugleich-753339.html

https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Der-kleine-Unterschied-ist-groesser-als-gedacht-226976.html

https://www.aerztinnenbund.de/downloads/6/Aerztin_2.19_S.12-13.pdf

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/66613/In-klinischen-Studien-sind-Frauen-oft-unterrepraesentiert

https://gendermed.org/dr-legato/

https://richard-magazin.de/zwei_2020/risikofaktor-frau/

https://www.dgesgm.de/

https://www.einnews.com/pr_news/537752791/dr-marianne-j-legato-of-the-foundation-for-gender-specific-medicine-to-be-featured-on-close-up-radio

https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-372014/frauen-schlafen-anders/

https://www.eltern.de/kinderwunsch/fruchtbarkeit/progesteron.html

 

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